Workshop im Rahmen der Ausschreibung 2023 zum Thema „BIOLUMINESCENCE“

Biolumineszenz ist ein faszinierendes Phänomen, das die sagenhafte Fähigkeit von bestimmten Lebewesen bezeichnet, Licht zu erzeugen, ohne dabei Wärme zu produzieren. Die Fähigkeit durch chemische Wechselwirkungen von Enzymen und Molekülen natürliches Licht zu erzeugen, ist in der Tier- und Pflanzenwelt weit verbreitet. Das Potential dieser geheimnisvollen Leuchtkraft lebender Systeme übt auf viele Disziplinen einen ungeheuren Reiz aus, wie etwa auf die Biochemie, die Biotechnologie, die synthetische Biologie, auf Architektur und Städtebau oder auf das Bio-Design und die bildende Kunst.

In der Förderperiode 2023-25 widmet sich die Fritz und Trude Fortmann-Stiftung den Potentialen der Biolumineszenz und geht der Frage nach, wie bisher angewandte und neu entwickelte wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Biolumineszenz Eingang finden können in die Materialforschung der Baukultur. Können zur Biolumineszenz fähige natürliche Systeme in der nahen Zukunft zuverlässige und nachhaltige Lichtquellen werden, um herkömmliche Beleuchtungsformen zu ergänzen oder sogar zu ersetzen? Die Schaffung von Lichtquellen, die ohne Strom funktionieren, könnte die Art und Weise, wie wir unsere Welt beleuchten, nachhaltig verändern.

Es gibt gute Gründe optimistisch zu sein, da die derzeitige Forschung sowohl an der Steigerung der Effizienz von biolumineszierendem Licht arbeitet als auch an Möglichkeiten, robuste und umweltfreundliche lebende Lichtformen in den Designprozess zu integrieren. Ob sich die technische Anwendung der Biolumineszenz zukünftig in eine Richtung entwickeln wird, die sie sicher (ungiftig) und für eine Massenanwendung geeignet macht, bleibt abzuwarten.

Das Ersetzen von elektrischer Beleuchtung durch lebendige Lichtformen kann auf der Grundlage der pflanzlichen Nanobionik oder auf der Grundlage technischer Pflanzen (einschließlich des Einbaus von Biolumineszenz-Systemen von Pilzen oder Bakterien in Pflanzen) erfolgen. Beides könnte Energie sparen und weltweit Städten und Kommunen helfen Netto-Null-Emissionen zu erreichen oder sogar klimapositiv zu werden, das heißt, einen Umweltnutzen zu schaffen, indem der Atmosphäre zusätzliches Kohlendioxid entzogen wird. Dass das auch quantitativ ein wichtiges Aktionsfeld ist, veranschaulichen die Zahlen: Künstliche Beleuchtung, ob in Innenräumen oder im Freien, ist ein wesentlicher Bestandteil des weltweiten Stromverbrauchs. Da der globale Energiemix immer noch stark von fossilen Brennstoffen abhängt, ist die künstliche Beleuchtung für fast 20 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich - mit all ihren katastrophalen Folgen für die zunehmende globale Erwärmung des Planeten.

Versuche, Beleuchtung billiger und effizienter zu machen, gibt es schon lange. Dazu gehören hocheffiziente Technologien wie LEDs (Light Emitting Diodes), winzige elektronische Chips aus speziellen Halbleiterverbindungen. Wenn Strom durch LEDs fließt, beginnen sie zu leuchten und "emittieren" Licht, weshalb dieser Vorgang auch Elektrolumineszenz genannt wird. In den letzten Jahren wurde jedoch - trotz der energiesparenden Vorteile von LEDs - wissenschaftlich nachgewiesen, dass LED-Beleuchtung nicht nur für das menschliche Auge schädlich ist, sondern auch erheblich zur Lichtverschmutzung beitragen kann und eine wachsende Bedrohung für die Artenvielfalt darstellt. Ökosysteme können ein gewisses Maß an menschlicher Nutzung ohne negative Auswirkungen tolerieren - eine Eigenschaft, die allgemein als Resilienz bezeichnet wird -, aber jenseits einer bestimmten Schwelle oder eines Kipppunkts kann es zu plötzlichen, radikalen und manchmal irreversiblen Schäden kommen. LED-Beleuchtung kann negative Auswirkungen auf unsere biologische Vielfalt haben, da sie mehr Licht im blauen Wellenlängenbereich enthält, die den natürlichen Tag- und Nachtrhythmus vieler Arten durcheinanderbringen, darunter auch von Arten, die für unser Nahrungsnetz wichtig sind. Die derzeitige Verlustrate der weltweiten Artenvielfalt ist schätzungsweise 100- bis 1000-mal höher als die (natürlich vorkommende) Hintergrundaussterberate und wird in den kommenden Jahren voraussichtlich noch weiter zunehmen. Dies macht deutlich, dass ein Systemwechsel auch in der Erzeugung von Licht unvermeidlich ist, der diese Befunde integriert und die Entwicklung alternativer Modelle fördert.

Die Potenziale der Biolumineszenz auszuloten und Forschende in diesem wichtigen und aussichtsreichen Forschungsfeld zu unterstützen, ist das Ziel, das sich die Fritz und Trude Fortmann Stiftung im Jahr 2023 und für die kommenden zwei Jahre gesetzt hat. Im ersten Quartal 2023 lobte die Stiftung eine Förderung aus und wandte sich an die internationale Forschungsgemeinschaft der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie auch an Künstler und Künstlerinnen, die sich mit der Untersuchung der Bioluminiszenz und ihrer Übersetzung in konkrete Projekte und Entwürfe befassen. In dem mehrstufigen Verfahren wurden schließlich sieben international arbeitende Projektgruppen am 14. Juli 2023 zu einem intensiven eintägigen Austausch nach Berlin eingeladen.

Ort der Veranstaltung bildeten als Referenz zur Baukultur die Kantgaragen in Berlin-Charlottenburg. Ein Bauwerk der frühen Moderne, das in seiner Bauzeit in den 1920er Jahren dem Wandel der Zeit mit einem gänzlich neuen Bautypus als Parkhaus und Automobil-Servicegebäude Tribut zollte. Seit seiner Umwidmung im Jahr 2022 steht dieses umfassend sanierte Bauwerk als Tagungs- und Veranstaltungsort zur Verfügung und hat in diesem Falle die exzellente inhaltliche Verknüpfung zwischen Forschung, Förderthema, Baukultur und Zukunftsorientierung geschaffen.

Nach einer herzlichen Begrüßung durch Nicola Fortmann-Drühe führte mit Prof. Dr. Susanne Hauser die Vorsitzende des Kuratoriums der Fritz und Trude Fortmann-Stiftung in das Thema ein, unterstützt durch einen Impulsvortrag von Prof. Dr. Ingeborg Reichle. Es folgten, moderiert von Prof. Dr. Michael Mönninger, sieben Vorträge der eingeladenen internationalen Experten und Expertinnen über ihre Forschungen und ihre Perspektiven auf den aktuellen Stand der Biolumineszenz-Forschung.

Die Vorträge hielten:

Jaime Alonso Lobato Cardoso, Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM)

und Prof. Dr. Román Alfonso Castillo Diaz, Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM)

 

Prof. Dr. Pinar Yoldas

University of California San Diego

 

Malu Lücking

Biodesign, Budapest

mit Juni Neyenhuys

mujō lab OHG

 

In Vertretung von Prof. Mette Ramsgaard Thomsen, Det Kongelige Danske Kunstakademi,

nahmen teil:

Dr. Aurelie Mossé

L'École nationale supérieure des Arts Décoratifs (EnsAD)

und Daniel Suárez,

Humboldt-Universität zu Berlin

 

Claudio Flores und Danilo Flores

Gründer von Mimotype Technologies GmbH, Berlin

 

Prof. DDr. Alberto T. Estévez

Universitat Internacional de Catalunya, iBAG (UIC),

Dr. Jae-Seong Yang, Universitat Autónoma de Barcelona, CRAG (UAB)

und Dr. Yomna K. Abdallah, Universitat Internacional de Catalunya, iBAG (UlC)

 

Prof. Dr. Nico Dissmeyer

Universität Osnabrück

 

Die interdisziplinäre Vielfalt der Vortragenden spiegelte sich in der Vielfalt der vorgestellten Projektansätze wider:

Einige der vorgestellten Forschungsarbeiten befinden sich bereits an der Schwelle zur Anwendung und binden die biolumineszenten Eigenschaften unterschiedlicher Organismen als mögliche Quelle in die Erzeugung von Licht ein. Dabei spielten in den Projekten Pilze, Algen und Bakterien elementare Rollen. Ziel eines der vorgestellten Projekte ist beispielsweise die Schaffung eines Mehrzweck-, Multifunktions- und Multiskalensystems zur Aktivierung von Nachhaltigkeit und Schönheit, das in Kunst, Architektur und Design eingesetzt werden soll in Verbindung mit biolumineszierenden genetisch veränderten Organismen. Ein Ziel ist es auch, das neue Licht der biolumineszenten Quellen zu Optimieren und in architektonische wie künstlerische Kontexte zu übertragen, um im Labor Variable und Ergebnisse bewerten und weiterentwickeln zu können.

Es wurden viele offene Forschungsfragen behandelt – und unterschiedlich beantwortet – zum Beispiel die, welche Organismen vielversprechend für die weitere Forschung sind, wie diese weiterzuentwickeln sind, wie die Leuchteigenschaft beeinflusst und gesteigert werden kann, oder in welche Materialien diese Organismen einzubinden sind. Die Integration von biolumineszierenden Organismen in Textilien war einer der vorgestellten Ansätze, um biolumineszierende Kulturen langfristig zu erhalten und in die Architektur zu integrieren. Die vielen vorgestellten, visuell oftmals reizvoll erscheinenden Umsetzungsversuche, ergaben ein erstes kohärentes Bild, wie diese Forschung eines Tages im Alltag sichtbar und integrierbar werden kann.

Den ersten Beitrag lieferte die in Barcelona ansässige Genetic Architectures Research Group mit dem Architekten Alberto T. Estévez sowie den beiden Wissenschaftlern Jae-Seong Yang (Computational und Synthetische Biologie) und Yomna K. Abdallah (Architektin, Computational Designerin, Mikrobiologin). Der zweite Beitrag kam von der Biodesignerin Malu Lücking und der Designerin und Illustratorin Juni Neyenhuys. Die folgende Präsentation wurde von einer in Kopenhagen ansässigen Arbeitsgruppe gehalten, die unter der Leitung der Architektin Mette Ramsgaard Thomsen steht, die das Zentrum für IT und Architektur (CITA) an der Königlich Dänischen Akademie der Schönen Künste leitet. Aurélie Mosse stellte den Forschungsansatz der Gruppe vor. Sie lehrt und forscht im Bereich Design und ist eine Co-Leiterin der Forschungsgruppe Soft Matters des EnsAD Lab, einem international bekannten französischen Forschungslabor für Kunst und Design an der Ecole Nationale Supérieure des Arts Décoratifs (EnsAD) in Paris. Begleitet wurde sie von Daniel Suárez, einem in Berlin ansässigen Architekten, der sich mit der Erforschung innovativer Materialien, Designschnittstellen und technologischen Prozessen für die Architekturproduktion im Kontext des Exzellenzclusters der Humboldt-Universität zu Berlin Matters of Activity beschäftigt. Der anschließende Vortrag wurde von Claudio Flores gehalten, dem Gründer und CEO des Berliner Start-up-Unternehmens Mimotype Technologies. Es folgte ein Vortrag des in Mexiko-Stadt ansässigen Informatikers und Künstlers Jaime Alonso Lobato Cardoso von der Forschungsgruppe Kunst, Wissenschaft und Komplexität des Zentrums für Komplexitätswissenschaften an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) im Tandem mit dem Molekularbiologen Román Alfonso Castillo Díaz, der ebenfalls an der UNAM am Institut für Molekularbiologie und Biotechnologie tätig ist. Anschließend stellte die in San Diego lebende Künstlerin und Architektin Pinar Yoldas ihr Projekt über spekulative Ökologie vor und gab einen Einblick in das von ihr an der University of California San Diego gegründete BioArchitecture Lab. Es folgte der die Reihe der Vorträge abschließende Beitrag des Biochemikers Nico Dissmeyer, der an der Universität Osnabrück, Fachbereich Biologie/Chemie, Abteilung Pflanzenphysiologie & Proteinmetabolismus-Labor tätig ist.

Der die verschiedenen Ansätze zusammenbindende Einführungsvortrag von Prof. Dr. Ingeborg Reichle zu Beginn der Veranstaltung und die Projektvorstellungen regten höchst lebendige Diskussionen zwischen allen Teilnehmenden an. Die durch Prof. Dr. Susanne Hauser und Prof. Dr. Ingeborg Reichle moderierte, ausführliche Fachdiskussion führte zu einem im hohen Maße professionellen, engagierten und spannenden Austausch, der Schlüsselfragen der künftigen Forschungen identifizierte. Ergänzt wurden die Möglichkeiten zum Austausch an diesem Tag durch vielfältige Gelegenheiten zu informellen Gesprächen, bei denen sich die eingeladenen Experten und Expertinnen untereinander vernetzten.

Aufgrund der detaillierten Projekt-Darstellung aller teilnehmenden Forscherinnen und Wissenschaftler freut sich der Vorstand der Fritz und Trude Fortmann-Stiftung nunmehr zwei der Projekte über einen Zeitraum von zwei Jahren mit einer Fördersumme von je 150.000 EUR unterstützen zu können. Die wissenschaftliche Arbeit wird von den Forschenden dokumentiert und die Ergebnisse ihrer Arbeit werden nach Abschluss veröffentlicht, so dass sie der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung stehen werden.

 

Dr. Karen Jung mit inhaltlicher Beteiligung von Prof. Dr. Ingeborg Reichle und Prof. Dr. Susanne Hauser

26.09.2023 / 25.10.2023

Impressionen aus dem Workshop 14.07.2023 (Fotos Dr. Thomas Durchlaub)
Impressionen aus dem Workshop 14.07.2023 (Fotos Dr. Thomas Durchlaub)
Impressionen aus dem Workshop 14.07.2023 (Fotos Dr. Thomas Durchlaub)
Impressionen aus dem Workshop 14.07.2023 (Fotos Dr. Thomas Durchlaub)
Impressionen aus dem Workshop 14.07.2023 (Fotos Dr. Thomas Durchlaub)